
Prof. Dr. Wolfgang Greiner
Vita
Experte für Gesundheitsökonomie
Prof. Dr. Wolfgang Greiner, geboren 1965, ist seit April 2005 Inhaber des Lehrstuhls für „Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement“ an der Universität Bielefeld. Vor seiner Berufung war er an der Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, einer Gemeinschaftseinrichtung der Universität Hannover und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), als Forschungsleiter tätig. Seine Promotion 1998 behandelte Kosten-Nutzen-Analysen im Gesundheitswesen am Beispiel der Nieren- und Lebenstransplantationen. In seiner Habilitation 2004 setzte er sich mit gesundheitsökonomischen Aspekten des Disease Managements auseinander. Er ist Autor zahlreicher Buch- und Zeitschriftenartikel und Managing Editor der Zeitschrift „European Journal of Health Economics“. 1999 wurde er in das Board der EuroQol-Foundation in Rotterdam gewählt. Er gehört zudem den wissenschaftlichen Beiräten der Techniker Krankenkasse und der DAK sowie dem Aufsichtsrat und Präsidialausschuss der Klinikum Region Hannover GmbH an. Seit Januar 2010 ist er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Medizinischen Zentrums für Gesundheit Bad Lippspringe GmbH. Von Mai 2007 bis März 2008 gehörte Prof. Greiner dem wissenschaftlichen Beirat für die Neugestaltung des Risikostrukturausgleiches in der gesetzlichen Krankenversicherung an. Seit Mitte 2010 ist er zudem ein Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen beim Bundesgesundheitsministerium.
Die wissenschaftlichen Schwerpunkte Prof. Greiners liegen im Bereich der Evaluationvon Gesundheitsleistungen, der Lebensqualitätsforschung, des Health Technology Assessments, des Risikostrukturausgleichs sowie des Disease Managements. Er ist Gastdozent an den Hochschulen von Magdeburg, Bern, Berlin (Charité) und Lüneburgund Preisträger des österreichischen Preises für Gesundheitsökonomie, des Wissenschaftspreises der Universität Hannover sowie des Medvantis-Forschungspreises.
Kontakt: Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, Universitätsstraße 25, 33615 Bielefeld, Tel.: 0521 106 6989; Fax: 0521 106 156989; E-Mail: wolfgang.greiner(at)uni-bielefeld.de
Interview
„Wir müssen Mindestqualitätsstandards definieren“
Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Wolfgang Greiner über die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, höhere Selbstbeteiligungsquoten und wie man einen Konsens findet, was ein solidarisches System finanzieren sollte.
Die Krankenkassen erwarten Milliardendefizite. Werden die Beiträge weiter steigen, Herr Professor Greiner?
Greiner: Derzeit verzeichnen wir aufgrund der positiven konjunkturellen Lage sogar Überschüsse bei den Kassen. Allerdings ist langfristig, und zwar schon ab 2013, mit steigenden Zusatzbeiträgen der Krankenkassen zu rechnen. Der jetzige allgemeine Beitragssatz wird dann nicht mehr ausreichen.
Heute noch Überschüsse, morgen höhere Beiträge. Wie kommt das?
Greiner: Die demographische Entwicklung in Deutschland und der technische Fortschritt führen zwingend dazu, dass die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen stärker ansteigt als das allgemeine Preisniveau. Auf dem jetzigen Versorgungsniveau ist daher mit steigenden Beiträgen zu rechnen, was mittlerweile auch von der Gesundheitspolitik als Faktum anerkannt wird.
Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Qualität der Versorgung?
Greiner: Die Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung sind dann aber auch eher schleichend. In einem wettbewerbsarmen Sektor wie der Gesundheitswirtschaft ist es den Anbietern kaum möglich, sich als Qualitätsversorger zu profilieren. Dabei bieten sich zwar den Kassen der Ausbau von Satzungsleistungen und Zusatzverträgen mit Leistungserbringern an. Diese werden von den Versicherten aber derzeit noch wenig wahrgenommen. Um das aktuelle Qualitätsniveau zu halten, kommen wir somit langfristig nicht um die Definition von Mindestqualitätsstandards nicht herum, z. B. was die Versorgungsdichte im ländlichen Raum angeht oder auch die Ergebnisqualität in Krankenhäusern. In einem wettbewerblichen System würde das die Untergrenze darstellen, die von einzelnen Kassen, ggf. auch durch entsprechend gerechtfertigte höhere Preise, übertroffen werden könnten.
Sind Einschnitte im Leistungskatalog der Kassen zu befürchten?
Greiner: Ob mit den Beitragserhöhungen gleichzeitig sinkende Leistungen verbunden sind, ist eine politische Frage, die unter anderem auch davon abhängt, wie hoch zukünftig der Sozialausgleich für diejenigen ausfallen wird, die sich steigende Zusatzbeiträge nicht mehr leisten können. Hier wird auch die Steuerfinanzierung irgendwann an ihre Grenzen kommen, und man wird darüber nachdenken, zu welchem Zeitpunkt und auf welchem Evidenzniveau vor allem Innovationen noch einen direkten Weg in den Leistungskatalog finden können.
Hat die Politik die richtigen Antworten auf die Lösung der Finanzierungsprobleme, zum Beispiel den Gesundheitsfonds?
Greiner: Der Gesundheitsfond bringt nicht eine einzige Antwort auf die drängenden Fragen, die sich derzeit angesichts der demographischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts im Gesundheitswesen stellen.
Was hat der Gesundheitsfonds dann überhaupt gebracht?
Greiner: Der Gesundheitsfonds hat lediglich dazu geführt, dass wir ein vereinheitlichten Beitragssatz haben, der den Wettbewerb zunächst einmal eher vermindert als vergrößert hat. Die Politik hatte zudem nicht den Mut, Zusatzbeiträge als normalen Bestandteil der GKV-Finanzierung zu akzeptieren, da von vornherein alle Kassen, die entsprechende Beiträge erheben mussten, als unwirtschaftlich gebrandmarkt wurden. Dieses Stigma wird der Zusatzbeitrag nun nicht mehr los, was letztlich dazu führen muss, die Finanzierungsfrage ganz neu zu denken und sich von alten Denkmustern wie Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie zu verabschieden.
Wie sieht denn Ihr Rezept gegen die Finanzierungsproblematik aus?
Greiner: Zunächst einmal ist die derzeitige rechtliche Stellung der Krankenkassen als öffentlich rechtlicher Körperschaften mit Verfassungsrang ein Anachronismus, der den jetzigen Gegebenheiten und den Erwartungen an Kassen als unternehmerische Einheiten nicht gerecht wird. Hier sollte man sowohl den Krankenkassen als auch den PKV-Unternehmen mehr Freiheiten geben, ähnlich wie in den Niederlanden sowohl solidarisch finanzierte wie auch aktuarisch kalkulierte Tarife anbieten zu können, die sich gegenseitig ergänzen.
Läuft das auf eine Bürgerpauschale hinaus?
Greiner: Wir haben dazu schon vor Jahren das Konzept einer subsidiären Bürgerpauschale vorgeschlagen, bei dem zwar alle Bürger verpflichtet sind, in ein umlagefinanziertes System einzuzahlen, der Grad der Selbstbeteiligung aber vom Einkommensniveau abhängig wäre. Das würde dazu führen, dass höhere Einkommen mit höheren Selbstbeteiligungsquoten einen eigenen Zusatzversicherungsbedarf hätten. Auf diese Weise könnte der Solidarausgleich auf einem geringeren Ausgabenniveau und auch administrativ wesentlich einfacher gestaltet werden als das dies derzeit vorgesehen ist.
Sie sprachen es vorhin schon an. Die Kosten werden auch von medizinischen Innovationen in die Höhe getrieben. Wie schafft man einen Konsens darüber, was ein solidarisches System finanzieren sollte?
Greiner: Wir sind in Bielefeld und Hannover seit Jahren auf dem Feld der gesundheitsökonomischen Evaluation aktiv, bei der Kosten und Nutzen von Innovationen vor und während der Markteinführung erhoben und miteinander verglichen werden. Dieser so genannte „value based approach“ ist langfristig die einzige rationale Antwort, die man auf die Vielzahl medizinischer Innovationen in einem kollektiv finanzierten System finden kann.
Wie funktioniert so ein „value based approach“?
Greiner: Grundgedanke ist dabei, dass man auf wissenschaftlicher Grundlage über den Wert von Innovationen entscheiden sollte, also alle vorliegenden Studienergebnisse nutzt und dann eine Entscheidung trifft, nur noch Leistungen neu in das System zu lassen, bei denen den Zusatzkosten auch ein angemessener Zusatznutzen gegenüber steht. In anderen Ländern ist dieses Konzept bereits seit vielen Jahren etabliert und hat sich dort sehr bewährt. Dort herrscht allerdings auch ein größerer gesellschaftlicher Konsens darüber, dass im Gesundheitswesen die Ressourcen nicht unbeschränkt sind, und daher eine Auswahlentscheidung auch bei Innovationen notwendig ist. Diese sollte dann aber anhand der wissenschaftlichen Datenlage und nicht durch die Aktivitäten von Lobbyverbänden oder anderen sachfremden Einflüssen getroffen werden.
Interview: Beatrice Hamberger
Prof. Dr. Wolfgang Greiner ist Inhaber des Lehrstuhls für „Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement“ an der Universität Bielefeld und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen beim Bundesgesundheitsministerium.
„Die einzelne ambulante Praxis gehört künftig der Vergangenheit an“
Fünf Fragen an den Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Wolfgang Greiner zur Zukunft des Deutschen Gesundheitssystems
Herr Professor Greiner, als Gesundheitsökonom denken Sie mindestens einen Schritt voraus. Wo sehen Sie das Gesundheitswesen in 15 Jahren?
Greiner: Da auf Dauer auch im Gesundheitswesen die grundlegenden ökonomischen Gesetze gelten, bin ich der festen Überzeugung, dass wir in 15 Jahren ein wettbewerblicheres System als heute mit einem höheren Anteil an privat finanzierter Nachfrage haben werden. Deutschland hat aber auch eine lange und gute Tradition, ein hohes allgemeines Versorgungsniveau ebenso für diejenigen Bevölkerungsschichten zu erhalten, die sich in einem rein privat finanzierten System keine Krankenversicherung leisten könnten. Für diese Menschen wird der steuerliche Sozialausgleich eine viel höhere Bedeutung spielen als heute.
Wie bewerten Sie die Mischung aus privater Finanzierung und steuerlichem Sozialausgleich?
Greiner: Aus ökonomischer Sicht ist dies sehr zu begrüßen. Denn die derzeitige Umverteilung findet versteckt im GKV-System statt, was dazu führt dass auch Versicherte davon profitieren, die wirtschaftlich durchaus in der Lage wären, selbst für eine Absicherung gegen den Krankheitsfall zu sorgen.
Werden die Strukturen, wie wir sie derzeit im Gesundheitssystem haben, erhalten bleiben?
Greiner: Basierend auf den Erfahrungen in anderen Ländern glaube ich, dass wir von dem starken Zentralismus, den wir derzeit in den Entscheidungsstrukturen in Deutschland sehen, auf eine stärkere Regionalisierung umsteuern werden. Dabei werden anders als heute angedacht weniger die Länder als vielmehr die Regionen mehr Verantwortung, auch finanzieller Natur, für die gesundheitliche Versorgung und die Erreichbarkeit von Leistungserbringern übernehmen.
Und die vielfach prophezeite interdisziplinäre Vernetzung?
Greiner: In der Tat werden sich bei der Leistungserbringung größere Einheiten zusammenschließen auch über Sektorengrenzen hinweg, d. h. das einzelne Krankenhaus und die einzelne ambulante Praxis werden zukünftig der Vergangenheit angehören. Bei einer stärkeren Bündelung und Vernetzung solcher Strukturen entsteht höhere Qualität bei einem weiterhin vertretbaren Kostenniveau.
Zu guter Letzt: Wird die Gesundheitsversorgung im Zuge der Globalisierung internationaler?
Greiner: Ich bin überzeugt, dass sich die Gesundheitsversorgung stärker internationalisieren wird, was wir derzeit schon im Arzneimittelbereich ansatzweise sehen, wie beispielsweise bei den Versandapotheken aus den Niederlanden. Außerdem setzen schon heute größere Krankenhauskonzerne zur Auslastung der vorgehaltenen Kapazitäten auf Patienten aus dem Ausland. Und wenn es den Krankenkassen erlaubt sein wird, dann werden diese auch Verträge mit ausländischen Leistungserbringern im ambulanten und stationären Bereich schließen - zumindest in den Grenzgebieten
Interview: Beatrice Hamberger
Prof. Dr. Wolfgang Greiner ist Inhaber des Lehrstuhls für „Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement“ an der Universität Bielefeld und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen beim Bundesgesundheitsministerium.