43. Practica vom 24. bis 27. Oktober in Bad Orb

43. Practica vom 24. bis 27. Oktober in Bad Orb

Ohne Wicklung keine Entwicklung

Kerstin Protz

Vom 24. bis zum 27. Oktober fand die 43. Practica in Bad Orb statt. Unter dem Motto „Fortbildung zum Mitmachen“ bietet diese Veranstaltungsreihe seit über 40 Jahren moderne Fort- und Weiterbildungen für das gesamte Praxisteam. Mehr als 1000 Besucher informierten sich in diesem Jahr in über 180 Seminaren über neue Entwicklungen und aktuelle Themen der hausärztlichen Praxis. Am dritten Kongresstag gestaltete Kerstin Protz, Fachexpertin des Medical Data Institute, einen gut besuchten Programmpunkt zum Themenfeld der Kompressionstherapie.

Unter dem aussagekräftigen Titel „Ohne Wicklung keine Entwicklung“ wandte sich der Beitrag von Kerstin Protz insbesondere an medizinische Fachangestellte und Praxismitarbeiter, die sich zur Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) fortgebildet haben. Die Projektmanagerin Wundforschung am Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) erläuterte hierbei die relevanten Aspekte der Kompressionsversorgung von Menschen mit venös bedingten Beingeschwüren. Protz legt in ihrer wissenschaftlichen Arbeit am Uniklinikum einen besonderen Schwerpunkt auf die Kompressionstherapie, die eine wichtige Säule in der Therapie dieser Patienten ist.

Zunächst erläuterte Protz die Ursachen und Symptome des venösen Beingeschwürs, verdeutlichte das typische Erscheinungsbild und den Verlauf  dieser chronischen Wunde anhand anschaulicher Fallbeispiele und stellte die Grundsätze der Ulkustherapie dar. Wie der Titel des Programmbeitrags bereits verdeutlichte, kommt der sachgerechten und konsequenten Kompressionstherapie hierbei eine ganz besondere Bedeutung zu. Nach Ansicht der Hamburger Fachautorin bestünde allerdings auf Seiten der Versorger in Deutschland hinsichtlich der notwendigen Grundlagenkenntnisse noch Verbesserungsbedarf. Dieser ließe sich laut Protz auch durch aktuelle Studien belegen, aus denen die vorhandenen Kompetenzen und Kenntnisse der Versorger in Deutschland ablesbar seien. Deren tatsächliches Wissen entspräche nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft und auch die Kenntnisse der Anwender über zeitgemäße, verfügbare Materialien und Methoden sowie die sachgerechte Durchführung der Kompressionstherapie seien ungenügend. Protz wies kritisch darauf hin, dass der Kompressionstherapie bereits in der Ausbildung von pflegerischen und ärztlichen Versorgern ein deutlich zu geringen Anteil zukomme, der nicht der Bedeutung dieser Therapieform entspräche. „Es fehlen die Grundlagen, denn Kompressionstherapie kommt in der Ausbildung von medizinischen Fachangestellten und Pflegefachkräften kaum und im medizinischen Studium gar nicht vor“, fasste sie den Ist-Zustand anschaulich zusammen: „Dennoch wird erwartet, dass jeder die Therapieform souverän beherrscht.“ Dass diese Annahme irrig ist, verdeutlichte ein in den Jahren 2015 und 2016 bundesweit durchgeführter Praxistest, an dem über 1000 Wundversorger aus allen Bereichen der Versorgung von Menschen mit Ulcus cruris venosum teilnahmen. Dabei gelang es knapp zwölf Prozent der Teilnehmer bei einer Kompressionsbandagierung mit Kurzzugbinden den therapierelevanten Druckwert von 50 bis 60 mmHg zu erwirken.

Als Hinleitung auf den praktischen Teil ihres dreieinhalbstündigen Workshops erläuterte Protz anschließend den Ablauf und die Wirkweise der Kompressionstherapie und ergänzte ihre Darstellungen durch  praxisnahe Tipps und Anwendungshinweise. In der Entstauungsphase, der ersten Phase der Kompressionstherapie, steht zunächst das Abschwellen der Beinödeme im Vordergrund. Erst wenn diese entstaut sind, kann die Abheilung der Wunde einsetzen. „Hierbei werden heutzutage meistens Kurzzugbinden verwendet“, erläuterte Protz: „Aber diese Binden sind eigentlich out.“ Seit fast zwanzig Jahren bietet der Markt als Alternative sogenannte Mehrkomponentensysteme. Es handelt sich um vorkonfektionierte Sets aus Kompressions-, Polster und selbsthaftenden Fixierbinden, die für die einmalige Anwendung ausgelegt sind.


Diese Systeme sind deutlich leichter anzulegen, da sie keinen aufwendigen Bandagierungstechniken erfordern, halten den Druck zuverlässiger als Kurzzugbinden und können mehrere Tage am Bein verbleiben. Eine weitere Möglichkeit ist die Versorgung mit adaptiven Kompressionsbandagen. Hierbei handelt es sich um wiederverwendbare Kompressionssysteme, die mit Klettverschlüssen fixiert werden. Durch dieses einfache Prinzip lässt sich der therapierelevante Druck unkompliziert und sicher einstellen. Optische Markierungen auf der Bandage eines Herstellers ermöglichen zudem die Ermittlung des erreichten Kompressionsdrucks. Durch das Klettsystem sind die adaptiven Kompressionsbandagen zudem jederzeit nachjustierbar und – bei ausreichender Beweglichkeit – auch vom Patienten selbst oder dessen Angehörigen an- und abzulegen. Dies und die Möglichkeit, auch mit angelegter Kompressionsversorgung die eigenen Schuhe weitertragen zu können, tragen zur Verbesserung der Patientenadhärenz bei. Protz sieht in diesen Bandagen eine Möglichkeit zur Verbesserung der Versorgungssituation bei gleichzeitiger Stärkung des Selbstmanagements der Betroffenen.

Dem Vortrag der Fachexpertin schloss sich ein Praxisteil an, in dem sich Gelegenheit bot, „selbst Hand anzulegen“, das eben Gehörte umzusetzen und die verschiedenen Materialien der Kompressionstherapie praktisch auszuprobieren. Unter fachkundiger Anleitung von Protz legten die Teilnehmer aneinander phlebologische Kompressionsverbände mit Kurzugbinden und Unterpolsterung an. Die Vortragende ermittelte bei fertiggestellter Bandagierung mit einem Messgerät den Druckwert unterhalb der Binden. Zudem informierten die Teilnehmer sich anhand von reichlich Anschauungsmaterial über die praktischen Möglichkeiten der adaptiven Kompressionsbandagen.

Der Vortrag der MDI-Fachexpertin Kerstin Protz auf der 43. Practica beantwortete die wesentlichen Fragen zur Kompressionstherapie und verdeutlichte, dass heutzutage jedem Patienten die für ihn passende Kompressionsversorgung zukommen kann. Dies ist die Basis für ein grundsätzliches Verständnis der getroffenen Maßnahmen und das daraus resultierende Einverständnis des Patienten in die Therapie. Erst wenn dieses besteht, so die Essenz des Programmbeitrags, kann die Therapie des Ulcus cruris venosum erfolgreich sein.

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