Als phlebologische Fachtagung rund um das Thema Venen und Gefäße haben die Bonner Venentage im Laufe vieler Jahre ihren Stellenwert unter den wissenschaftlichen Veranstaltungen in diesem Themenfeld etabliert. Insgesamt 300 Besucher verfolgten am 10. und 11. Februar die zahlreichen Vorträge, Workshops und Symposien in den Festsälen des Bonner Maritim Hotels. Auf der Präsentationsfläche stellten über 30 Aussteller aktuelle Entwicklungen und neue Konzepte zur Versorgung venenkranker Menschen vor. Die zahlreichen Referenten aus Forschung, Wissenschaft und Praxis erläuterten neue Aspekte der Versorgung von Krankheitsbildern wie Ulcus cruris, Thrombose und Lungenembolie und diskutierten über neue Entwicklungen.
Als „Jahreseinstieg in die phlebologischen Veranstaltungen“, wie es Professor Dr. Eberhard Rabe formulierte, greifen die Bonner Venentage Entwicklungen auf, sprechen Trends an und setzen Themen in Therapie, Versorgung und Pflege von Menschen mit Venenerkrankungen. Da der traditionelle Tagungsort, die Bonner Beethovenhalle, wegen Renovierungsarbeiten nicht zur Verfügung steht, nutzt die Fachtagung in diesem und, so kündigte Rabe an, im nächsten Jahr die Festsäle des Bonner Maritim Hotels.
Einleitend stellte Rabe die Ergebnisse einer europäischen Konsensuskonferenz vor, die sich zur evidenzbasierten Kompressionstherapie, basierend auf den Erkenntnissen aktueller Studien, auf mehrere Empfehlungen verständigt hat. Zusammenfassend stellte Rabe fest, dass sich die Datenlage zur Kompressionstherapie sehr gut darstellt. Diese Ansicht unterstrich anschließend Professor Dr. Hugo Partsch. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts habe Heinrich Fischer, ein Pionier der Kompressionstherapie, beobachtet, dass eine starke Kompression bei Patienten erfolgreich einsetzbar war, die selbst den Druck der Bettdecke als unerträglich empfanden. Gemeinsam stellten Partsch und Rabe die insgesamt 17 Empfehlungen der Europäischen Konsensuskonferenz vor und erläuterten deren Bedeutung für die phlebologische Praxis.
In jüngster Zeit wird der Einsatz von Kompressionsmaterialien im Sport thematisiert. Das sei eher auf Medienberichte als auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückzuführen, berichtete Professor Dr. Helmut Lötzerich. Der Sportmediziner identifizierte zufällige Fotografien einzelner bekannter Langstreckenläufer, als auch inoffizielle Bilder bekannter Fußballspieler, als Auslöser des Interesses an Kompressionsstrümpfen für den sportlichen Bereich. Tatsächlich sei unter Kompressionstherapie auch eine geringfügige Leistungssteigerung, bzw. ein geringerer Leistungsabfall feststellbar, so Lötzerich, aber diese Hilfsmittel seien eher für den Amateur- und Hobbysportler von Bedeutung. Austrainierte Profis nutzen ihrerseits verschiedene Kompressionsmethoden während der Regenerationsphase.
Im Umgang mit den Materialien der Kompressionstherapie sind viele Betroffenen leider nicht sicher, berichtete Kerstin Protz, aber auch der Versorgungsstand dieser Patienten ist deutlich schlechter als angenommen. Die Hamburger Fachautorin stellte eine aktuelle Studie vor, in der deutschlandweit der Versorgungsstand von Patienten mit Ulcus cruris venosum erfasst wurde. Von diesen hatten über 30 % keine Kompressionsversorgung, obwohl dies die Basistherapie bei diesem Krankheitsbild darstellt. Protz berichtete, dass die Beine der Patienten ungewöhnlich lange, im Mittel 40 Wochen, mit Kompressionsbinden bandagiert wurden, obwohl diese nach drei bis vier Wochen, wenn die Beine initial entstaut sind, gegen medizinische Kompressionsstrümpfe ersetzt werden sollten. Zudem konnte ermittelt werden, dass Patienten nicht ausreichend über die Pflege und die Anwendung ihrer Kompressionsmaterialien sowie über unterstützende An- und Ausziehhilfen informiert sind.
Eine durch das Starnberger Medical Data Institute präsentierte Vortragsreihe thematisierte das Zusammenwirken von Phlebologen und dem hausärztlichen Bereich. Unter Moderation von Kongresspräsident Rabe diskutierten Gefäß- und Allgemeinmediziner Aspekte der Kooperation bei der Versorgung venenkranker Menschen. Da Betroffene erst zum Phlebologen gehen, wenn sie bereits schwer erkrankt sind, sieht Rabe viele Möglichkeiten zur Optimierung im hausärztlichen Bereich.
Diese Analyse unterstrich Professor Dr. Markus Stücker, der in seinem einführenden Statement die Situation der phlebologischen Versorgung erläuterte. „Ein Großteil unserer Mitglieder sind Allgemeinmediziner,“ betonte der Präsident der Deutschen Phlebologischen Gesellschaft. „Die Zusammenarbeit der fachärztlichen Disziplinen ist bei uns gelebte Praxis.“ Anhand der Daten der Bundesärztekammer sei laut Stücker von 5.000 Gefäßmedizinern in Deutschland auszugehen. Ihnen steht eine große Menge potentieller Patienten gegenüber, denn über 90 % der Bundesbürger wiesen mit den sogenannten Besenreisern bereits leichte Venenveränderungen an den Beinen auf. Die aktuelle Datenlage zeigt, dass ab dem 45. Lebensjahr das Risiko von Venenerkrankungen exponentiell ansteige, von denen schließlich jeder vierte über 70jährige betroffen sei. Rein statistisch gesehen kämen somit in Deutschland 3.000 potentielle Patienten auf einen Phlebologen. Eine Vorauswahl der Patienten, die tatsächlich dem Gefäßspezialisten vorgestellt werden sollten, könne nach Stückers Ansicht unter bestimmten Voraussetzungen der Hausarzt vornehmen.
Der Allgemeinmediziner Dr. Dr. Peter Schlüter stellte anschließend die Möglichkeiten und Machbarkeiten einer hierfür hilfreichen phlebologischen Untersuchung vor. Der Hemsbacher Arzt berichtete aus Sicht des Allgemeinmediziners, dessen Patienten aus den unterschiedlichsten Gründen die hausärztliche Praxis aufsuchen und von denen nicht jeder auf alle erdenklichen Aspekte hin untersucht werden kann. Schlüter regte daher an, eine spezifische Untersuchung des Zustands der Venen in den zweijährigen Check-up einzubeziehen, der von den Kostenträgern erstattet wird. Doch es gelte auch zu beachten, dass nicht jede hausärztliche Praxis die zur Diagnosestellung erforderlichen Geräte zur Verfügung hat, gab Schlüter zu bedenken. Grundsätzliche Versorgungen venenerkrankter Patienten, wie post-operative Untersuchungen, Wundversorgung und die für den Behandlungserfolg grundlegende Kompressionstherapie seinen jedoch grundsätzlich durch den Hausarzt leistbar. Wünschenswert wäre nach Schlüters Ansicht hierfür eine Motivation von Seiten der betroffenen Patienten und eine bessere Regelung der Vergütung hausärztlicher Leistungen in der Therapie venenkranker Menschen.
„Die Inspektion und Palpation der unteren Extremitäten gehört zur Ganzkörperuntersuchung“ unterstrich Dr. Hendrik Altenkämper, der gemeinsam mit Dr. Jutta Schimmelpfennig die Sicht des Berufsverbands der Phlebologen erläuterte. Unter Hausärzten sei die Einschätzung verbreitet, dass medizinische Kompressionsstrümpfe, die Patienten zur erfolgreichen Kompressionstherapie benötigen, das ärztliche Budget belasten. Obwohl Kompressionsstrümpfe als Hilfsmittel nicht ins Budget fallen, stünde dieser Irrtum der Bereitschaft, solche Patienten zu versorgen, oft im Wege, so Altenkämper. Andererseits wirken Behandlungen, für die der Patient selber aufkommen muss, wie die freiwilligen individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), seiner Erfahrung nach auf den Betroffenen abschreckend.
Die 23. Bonner Venentage ermöglichten den 300 Besuchern einen Überblick der aktuellen Entwicklungen im Themenfeld der Phlebologie und beleuchten einzelne Aspekte im Rahmen aussagekräftiger Vorträge. Neben dem für diese Veranstaltung typischen „Blick über den Tellerrand“, der sich auf lymphologische oder sportmedizinische Themen richtete, wurde in diesem Jahr zudem ein besonderer Schwerpunkt auf das Zusammenwirkungen verschiedener ärztlicher Fachrichtungen bei der Versorgung venenkranker Menschen gelegt. „Nicht nur beim Hausarzt, auch in vielen anderen medizinischen Bereichen gibt es Unklarheiten, wann man welchen Patienten zum Phlebologen schicken sollte“, so Kongresspräsident Rabe. Die 23. Bonner Venentage haben in diesen Themenkomplex einige Klarheit gebracht.